Die sächsische Polizei greift in einem beunruhigenden Maße auf Technologien zurück, die das Gesicht jedes Einzelnen erkennen und verfolgen können. Mit dem Einsatz von Echtzeit-Gesichtserkennungssystemen, die sowohl in Sachsen als auch in Berlin aktiv sind, wird das Ausmaß staatlicher Überwachung in Deutschland neu definiert.

Schon lange gilt Sachsen als Vorreiter im Bereich der Überwachungstechnologie. In Leipzig, einer Stadt, die seit 1996 jeden Bewegung auf dem zentralen Bahnhofsplatz rund um die Uhr überwacht, hat sich die Technik stetig weiterentwickelt. Ein Jahrzehnt nach Einführung der ersten Kameras führte das Bundesland die Überwachung durch Drohnen ein. Wieder zehn Jahre später rüstete sich die Polizei in Görlitz und Zwickau mit stationären und mobilen Überwachungssystemen aus, die nicht nur Kennzeichen erfassen, sondern auch Gesichter scannen und abgleichen können.

Die neueste Eskalation in dieser fortschreitenden Überwachungspraxis wurde vor Kurzem enthüllt. Die sächsische Polizei hat nun Zugriff auf ein geheimes Observationssystem, ausgestattet mit hochauflösenden Kameras, die in parkenden Fahrzeugen versteckt oder fest installiert werden können. Diese Kameras sind in der Lage, Gesichter in Echtzeit zu identifizieren und abzugleichen, um festzustellen, ob sich eine als verdächtig eingestufte Person an einem bestimmten Ort aufgehalten hat.

Wird „Personen-Identifikations-System“ (PerIS) heimlich genutzt?

Diese neue Technologie, die möglicherweise die Grenzen des Erlaubten testet, schleicht sich immer mehr ein. Das Überwachungssystem aus Sachsen sorgt für Unruhe und wirft zahlreiche Fragen hinsichtlich der Privatsphäre und des Datenschutzes auf. Offiziell als „Observationstechnik für verdeckte Maßnahmen“ betitelt, bleibt vieles im Dunkeln, nicht zuletzt wegen der strikten Geheimhaltungspolitik der sächsischen Behörden.

Das System, bekannt unter dem Namen „Personen-Identifikations-System“ (PerIS), wurde erstmals 2020 von der Polizeidirektion Görlitz in Betrieb genommen. Es markiert einen Wendepunkt in der Überwachungstechnologie, insbesondere bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Bandenkriminalität. Nichtsdestotrotz, die genaue Funktionsweise und die Reichweite des Einsatzes bleiben ein gut gehütetes Geheimnis.

Ein Sprecher der Polizei bestätigte gegenüber dem „nd“, dass die Details zur Technologie geheim gehalten werden. Dies schürt nicht nur Misstrauen, sondern führt auch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Überwachungsmethoden, die möglicherweise tief in die Rechte und Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger eingreifen. In Berlin wurde die Technologie bereits eingesetzt, um in Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt Görlitz und der Staatsanwaltschaft der Hauptstadt gegen Bandenkriminalität vorzugehen.

Die technischen Spezifikationen, die im Zuge einer Kleinen Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas Schrader offengelegt wurden, enthüllen, dass das mobile Überwachungssystem nicht nur die Kennzeichen von Fahrzeugen erfasst, sondern auch Gesichtsbilder der Insassen. Diese Praxis wirft gravierende Fragen auf: Wie weit darf staatliche Überwachung gehen? Welche Sicherheitsmaßnahmen schützen die erfassten Daten vor Missbrauch?

Gesichter auf Polizei-Check

 Die zugehörige Datenbank basiert auf Bildern, die von Polizisten manuell ausgewählt und in das System eingepflegt werden. Es besteht keine automatische Verbindung zu anderen polizeilichen oder europäischen Informationssystemen.

Das System arbeitet mit einer geringen zeitlichen Verzögerung von nur wenigen Sekunden und vergleicht die Gesichter aller erfassten Personen mit den Bildern von Tatverdächtigen, die in einem speziellen Ermittlungsverfahren gesucht werden. Wenn das System eine Übereinstimmung feststellt, wird der Fund durch einen Polizeibeamten überprüft.

Die wesentlichen technischen Komponenten umfassen hochauflösende Kameras, die auch bei schlechten Lichtverhältnissen und Wetterbedingungen qualitativ hochwertige Bilder liefern. Diese Technologie wird insbesondere zur Identifizierung von Tatverdächtigen und zur Analyse von Fluchtrouten verwendet.

Details zu den spezifischen Verfahren, bei denen diese Technologie eingesetzt wird, wurden nicht offengelegt. Es ist jedoch bekannt, dass sie in Ermittlungen wegen einer internationalen Kraftfahrzeugverschiebung und eines schweren Raubes an einer Tankstelle genutzt wurde. Letzterer Fall wird einer Gruppierung angelastet, die regelmäßig schwere Tresordiebstähle an Tankstellen begeht und bei einem Vorfall zu einem schweren Raub eskalierte.

Keine flächendeckende Überwachung oder doch ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre?

Trotz wachsender Besorgnis über die Auswirkungen auf die Privatsphäre behauptet die Berliner Staatsanwaltschaft, dass der Einsatz solcher Technologien keine flächendeckende Überwachung darstelle. Doch Kritiker und Experten sehen das anders.

Laut der Staatsanwaltschaft bietet Paragraf 98a der Strafprozessordnung eine feste rechtliche Grundlage für den Einsatz von biometrischer Überwachung, wenn schwere Straftaten auf dem Spiel stehen und keine anderen Methoden greifen. Diese Gesetzgebung erlaubt es, Personen, die von der Technik erfasst werden, automatisch mit anderen Daten abzugleichen.

Doch wie oft die Polizei in Sachsen solche „verdeckte Maßnahmen“ bereits angewandt hat und wie effektiv diese waren, bleibt unklar – angeblich fehlen dazu die Statistiken. In Berlin wurde bislang eine Person mittels dieser Technologie identifiziert, was weitere Fragen über die Häufigkeit und den Umfang solcher Operationen aufwirft.

Der Einsatz solcher Überwachungstools rückt jede Person im Erfassungsbereich der Kameras ins Visier der Polizei, was laut der Staatsanwaltschaft jedoch keine flächendeckende Überwachung konstituiert. Tobias Singelnstein, Professor für Strafrecht, kontert diese Aussage scharf: „Eine solche Maßnahme greift in erheblichem Maße in die Rechte von völlig Unbeteiligten ein.“ Nach seiner Meinung erlaubt die Strafprozessordnung solch weitreichende Eingriffe nicht.

Die heftige Kritik wird ebenso von Niklas Schrader, dem innenpolitischen Sprecher der Berliner Linken, geteilt. Er sieht in der Ausleihe und potenziellen flächendeckenden Anwendung dieser Technologie durch Berlin einen „schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte auch von Unbetroffenen“. Schrader fordert vom Senat ein klares Bekenntnis gegen den Einsatz biometrischer Überwachung und die Ausweitung der polizeilichen Videoüberwachung im öffentlichen Raum.

Monroy, M. (2024, 3. Mai). Überwachungstechnik: Polizei observiert mit Gesichtserkennung. netzpolitik.org. https://netzpolitik.org/2024/ueberwachungstechnik-polizei-observiert-mit-gesichtserkennung/

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