Soll das der Weisheit letzter Schluss sein? Wie schon mehrfach auch auf Ansage! thematisiert, erklärte die “Wirtschaftsweise” Monika Schnitzer am Wochenende gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“, dass Deutschland 1,5 Millionen Zuwanderer pro Jahr benötige, um seinen Fachkräftemangel zu bekämpfen. Sie sagt, dass Deutschland eine “Willkommenskultur” brauche und dass die Ausländerbehörden einen besseren “Service” bieten sollten. Ebenfalls kritisiert sie, dass Deutschland bei der Bildung, der Infrastruktur, der Digitalisierung und dem Klimaschutz hinterherhinkt.

Laut dem Statistischen Bundesamt hat Deutschland im Jahr 2022 eine Nettozuwanderung von knapp 1,5 Millionen Personen verzeichnet. Das ist die höchste bisher registrierte Nettozuwanderung seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1950. Der Anstieg ist vor allem auf die Fluchtmigration aus der Ukraine, Syrien, Afghanistan und der Türkei zurückzuführen. Schnitzers nacktes Statement für sich betrachtet, basiert dieses wohl auf einer simplen Additions- und Subtraktionsrechnung: Fehlende Fachkräfte minus Neurentner minus Wegziehende ergibt einen “Nettobedarf”. Grundsätzlich und rein mathematisch kann dieser Rechnung nicht widersprochen werden. Jedoch würde sich der Verfasser wie auch ein Großteil der denkenden Deutschen von einer „Wirtschaftsweisen“ eine etwas tiefer gehende Analyse wünschen – und insbesondere auch das Aufzeichnen von möglichen Alternativen, die durchaus vorhanden sind, die größtenteils weit besser zu realisieren wären und die teilweise das Problem entschärfen könnten.

Lösungsansätze? Fehlanzeige!

Ferner wäre es auch wünschenswert, wenn die geschätzte „Wirtschaftsweise“ zugleich auch einige Ansätze zur Lösung der Vielzahl der logistischen Probleme bei der Realisierung dieser Forderung aufgezeigt hätte. Von diesen Probleme seien hier nur einige wenige genannt:

Da wäre zunächst die Wohnraumbeschaffung: Wenn pro Jahr 1,5 Millionen Fachkräfte kämen (zusammen mit ihren Familien!), wird Wohnraum benötigt, der deutlich über dem – schon jetzt weit verfehlten – Bedarfsziel von 1 Millionen Wohneinheiten pro Jahr liegt. Die Bundesregierung kommt dieses Jahr auf gerade einmal 200.000 Einheiten

Rekrutierung und Wettbewerb: Illusorischerweise angenommen, es könne sichergestellt werden, dass diesmal tatsächlich nur wertvolle “Fachkräfte” kämen: Da ist Deutschland nicht das einzige Land, das qualifizierte Zuwanderer sucht. Wohl aber bietet es mit die schlechtesten Standortbedingungen (Steuerlast, Infrastruktur, Digitalisierung). Attraktiv ist dieses Land nur für die, die Vollversorgung in den Sozialsystemen suchen. Wenn es um echte Spitzenkräfte geht, sind den Deutschen etwa Australien und Kanada weit voraus: Sie besitzen nicht nur auch sprachliche Vorteile (Englisch!), sondern sind auch in puncto reduzierter bürokratischer Hemmnisse massiv im Vorteil.

Integration: Hier fehlt eigentlich die komplette Infrastruktur, um eine “Eingliederung” – sofern von den Einwanderern überhaupt gewollt – gewährleisten zu können. Die von Frau Schnitzer angesprochene „Willkommenskultur“ basiert nicht nur auf der Ausrichtung eines „Begrüßungsgeldes“ und einem warmen Händedruck. Kitas, Schulen, Gesundheitswesen, und auch die Bereitschaft, den Neubürgern etwas abzufordern: Überall hapert es. Wir haben heute schon von allem zu wenig – und das Wenige, das wir noch besitzen, ist in einem derart erbärmlichen Zustand, dass es eine Zumutung wäre, dies überhaupt anzubieten.

Unrealisierbare Ansätze

Problemmigration: Zusätzlich zu den geforderten 1,5 Millionen Zuwanderern kommen pro Jahr ja weiterhin etliche Hunderttausende von Schutzsuchenden, Asylanten und so weiter, die nicht den Kriterien dieser “gewünschten” Zuwanderer entsprechen. Damit dürfte sich die wahre Zahl der Gesamtzuwanderung auf deutlich über 2 Millionen pro Jahr bewegen – 20 komplette Großstädte.

Gesellschaftliche Probleme: Wie soll die schon jetzt überforderte, durch massive Kriminalitätszuwächse und Veränderung der Stadtbilder desillusionierte  Bevölkerung auf Zuwanderungsströme in dieser Größenordnung reagieren? Denkt man an die Ausschreitungen zurück, die anhaltenden Flüchtlingsfluten seit 2015 ausgelöst haben und die in ähnlicher Form wie in Frankreich an Schärfe zunehmen könnten, ist es eine Horrorvision, sich auszumalen, was Deutschland blüht: Spaltung der Gesellschaft, Gewaltausbrüche bis hin zu Unruhen sind zu befürchten. Gleichzeitig ist selbstverständlich ein massives Erstarken der radikalen Kräfte sowohl links wie rechts zu erwarten.

Zusammenfassend muss gesagt werden, dass Frau Schnitzer zwar rein mathematisch mit ihrer Gleichung wohl Recht hat; ihr Lösungsansatz erscheint dem Verfasser in absehbarer Zeit als völlig unrealisierbar. Die wichtigsten Bereiche sind vorab skizziert. Es gäbe dabei aber durchaus einige Alternativen zur Milderung eines Fachkräftemangelös, die einfacher und auch erfolgversprechender zu realisieren wären. Hier nur zwei Möglichkeiten:

Die eine wäre die Verhinderung von Abwanderung und Rückholung “geflüchteter” deutscher Exilanten aus dem Ausland. In der Schweiz etwa lebten im Jahre 2021 211.300 Deutsche. Dazu kamen noch über 60.000 Pendler. So stammen über 21,5 Prozent aller Fachärzte in der Schweiz aus Deutschland. Im Bereich der Krankenpflege liegt der Prozentsatz noch deutlich darüber. Wie dem Verfasser bekannt, gelten nahezu identische  prozentuale Anteile ebenso für Großbritannien. Soziologische Studien der ZHAW Zürich widerlegen dazu die permanente Mär, dass die Abwanderung in die Schweiz ausschließlich auf die bessere Bezahlung zurückzuführen sei: Der Unterschied zwischen Nettolohn und Lebenshaltungskosten ist nicht derart relevant, dass er als alleiniges Motiv für die Auswanderung dienen könnte.

Beispiel Schweiz

Vielmehr stehen im Zentrum des auswanderungswilligen Pflegepersonals die Arbeitsbedingungen: Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung betreuen Pflegekräfte pro Kopf in Deutschland im Durchschnitt 13 Patienten, während in der Schweiz im Schnitt nur 8 Patienten betreut werden. Dadurch ist die Qualität der Pflege in der Schweiz wesentlich höher und die Arbeitsbelastung geringer als in Deutschland, was sich stark auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter auswirkt. Die Geiger Consulting, welche die Webseite medizinjobsschweiz.ch betreibt, nennt zusammenfassend folgende Punkte:

• Gute Arbeitsbedingungen
• Klassische Teamarbeit
• Lohnunterschied
• Höheres Ansehen in der Pflege
• Mehr Kompetenzen als in Deutschland
• Flache Hierarchien

Der medizinisch-pflegerische Sektor stellt jedoch nur eine Teilmenge der Berufe ausgewanderter Deutschen in der Schweiz dar. Auch in anderen Bereichen sind die deutschen Arbeitnehmer omnipräsent. So könnte der Flughafen Zürich-Kloten ohne die deutschen Mitarbeiter kaum betrieben werden.

Eine weitere Option gegen den Fachkräftemangel wäre die Aktivierung der eigenen Bevölkerung. Als Folge der Schaffung eines – als „erfolgreich” bezeichneten – Mindestlohnsektors in Deutschland durch Schröder und Müntefering mit der Agenda 2010 und der damit verbundenen HartzIV-Regelung wurden leider auch die früher ubiquitär geltenden Tugenden wie Fleiß, Arbeitswille und Leistungsbereitschaft ad acta gelegt. So entstand etwa die groteske Situation, dass die meisten Schüler der 5. und 6. Klasse bei einer Umfrage in einer Arche-Einrichtung in Berlin “Hartz IV – Bezieher” ernsthaft als späteren Berufswunsch nannten. Die Einführung des sogenannten “Bürgergeldes” mit den Bezugserleichterungen zielt hier ebenfalls in die falsche Richtung.

Eine weitere, völlig anders geartete Alternative wäre noch, sich von anderen Staaten inspirieren zu lassen: Es gibt auf dieser Welt durchaus äußerst erfolgreiche Gesellschaften, die über eine äußerst rigide Einwanderungskultur verfügen. Als Beispiel seien hier Japan und Singapur genannt. Beide Länder kämpfen mit der Überalterung der Bevölkerung und haben analoge Probleme wie Deutschland; bloß sind hier die Lösungswege völlig unterschiedlich. Daher: Einen Blick  über den Tellerrand riskieren kostet wirklich nichts.

Jobmesse für Fachkräfte: Selbst wenn diesmal nur real Qualifizierte kommen würden – Deutschland hat andere Möglichkeiten (Foto:Imago)

Die Lösung des “Fachkräfte”-Problems liegt nicht in immer mehr Zuwanderung

 

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