Zwar gibt sich die Europäische Zentralbank im Ton zuversichtlich, dennoch spricht der aktuelle Finanzstabilitätsbericht eine klare Sprache: Aufgrund hoher Verschuldung, aber auch unkalkulierbarer Schattenbanken ist die Gefahr einer Weltwirtschaftskrise real. Von Samuel Faber
Eigentlich ist es die Aufgabe von Zentralbanken, Sicherheit und Zuversicht auszustrahlen, da jede Aussage der Notenbanker Auswirkung auf ein ganzes Geldsystem hat. Bei allen diplomatischen und zurückhaltenden Vokabeln erzeugt der aktuelle Finanzstabilitätsbericht der Europäischen Zentralbank (EZB), der am 31. Mai 2023 publiziert wurde, genau das Gegenteil von Sicherheit und Zuversicht.
Insgesamt sehen die Notenbanker vier Gefahrenzonen: Turbulenzen an den Märkten, drohende Bankenpleiten, Schulden von Staaten und Unternehmen sowie Schattenbanken. “Die Finanzmärkte bleiben anfällig für ungünstigere Wachstums- und Inflationsentwicklungen”, heißt es im Bericht. “Eine negative Marktdynamik könnte durch Zwangsverkäufe von Wertpapieren noch verstärkt werden.”
Turbulenzen an den Märkten
Hierbei weist die EZB einerseits auf drohende Probleme auf dem Kapitalmarkt hin. Zunächst widmen sich die Notenbanken jedoch dem Immobilienmarkt. Durch die Zinserhöhungen und durch die Rückführung der Anleihekäufe könnte es auch Druck auf die Immobilienpreise geben. Besonders problematisch ist hierbei die Tatsache, dass Deutschland bereits seit Jahren, gerade in den Ballungsgebieten, eine lange Phase der Preissteigerung hinter sich hat.
Bereits im vergangenen Jahr warnte die Bundesbank vor einer Immobilienblase. So sehen die Experten Indizien für eine Überbewertung von Wohnhäusern und Wohnungen in Großstädten. Nach einer Schätzung lagen die Immobilienpreise in den Städten im Jahr 2021 zwischen 15 Prozent und 40 Prozent über dem Preis, der „durch soziodemografische und wirtschaftliche Fundamentalfaktoren angezeigt“ sei, heißt es von den Bundesbankern. Durch die hohen Zinsen werden weniger Hypothekenkredite vergeben, was dazu führt, dass die Nachfrage an Häusern sinkt. Die Gefahr besteht darin, dass es durch die Nachfrageverschiebung zu abrupten Kursverlusten kommen könnte.
Drohende Bankenpleiten
Die Anzeichen verdichten sich, dass das Bankensystem am Rande einer Krise steht. Immer wieder mussten US-Geldhäuser, wie die Silicon Valley Bank, gerettet werden. Aber auch in Europa standen Banken bereits kurz vor dem Kollaps. So konnte die zweitgrößte Schweizer Bank Credit Suisse nur durch Unterstützung vom Staat am Leben gehalten werden.
Zwar profitieren viele Banken von steigenden Zinsen, da einige Geldhäuser ihren Gewinn dadurch generieren. Sie leihen sich kurzfristig Geld von Privatkunden in Form von Einlagen und legen dies langfristig zu besseren Konditionen auf dem Kapitalmarkt an. Steigt das allgemeine Zinsniveau, so generiert die Bank mit diesem Geschäft eine höhere Rendite. Zwar macht eine Bank mit einem einzelnen Kredit mehr Gewinn, aber durch die höheren Zinsen wird es weniger Kunden geben, die diese in Anspruch nehmen. Hierbei droht ein Rückgang des Umsatzes.
Die Pleite der Silicon Valley Bank hat gezeigt, dass es auch Banken gibt, die in dieser Situation in größte Schwierigkeiten kommen können. Das liegt daran, dass das Geldhaus in hohem Maße in Staatsanleihen investierte. Aufgrund der hohen Zinsen zogen jedoch viele Anleger das Geld ab, da Investitionen in andere Produkte von anderen Banken attraktiver erschienen. Dazu kam es zu einem gigantischen Buchverlust, der die Bank in die Knie zwang.
Gefahr durch hohe Verschuldung von Staaten
Eine weitere große Baustelle ist die hohe Verschuldung. Zum Ende des Jahres lag die Verschuldungsquote in der EU bei 84 Prozent. Die höchsten Verschuldungsquoten im Verhältnis zum BIP weisen die Lände Griechenland (171,3 Prozent), Italien (144,4 Prozent), Portugal (113,9 Prozent), Spanien (113,2 Prozent), Frankreich (111,6 Prozent) und Belgien (105,1 Prozent) auf, während die niedrigsten Quoten in Estland (18,4 Prozent), Bulgarien (22,9 Prozent) und Luxemburg (24,6 Prozent) registriert wurden. Deutschland liegt bei rund 66 Prozent und verpasst damit ein weiteres Mal die Maastricht-Kriterien.
Diese besagen unter anderem, dass die jährliche Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte nicht über drei Prozent liegen darf. Ebenso ist es den Staaten untersagt, dass die Verschuldungsquote nicht höher als 60 Prozent betragen darf. Die meisten EU-Länder halten sich nicht an die Stabilitätskriterien, was die EZB als Problem sieht. Denn eine erneute Staatsschuldenkrise könnte das Finanzsystem weltweit zum Wanken bringen.
Gefahren durch Schattenbanken
Hierbei sind Akteure außerhalb des Bankensektors, wie Pensionsfonds, Investmentfonds und Versicherer, gemeint. Nach der Bankenkrise wurden zwar Banken schärfer reguliert. Dies gilt jedoch nicht für Schattenbanken. Hierbei fehlen Transparenz und ordnungspolitische Instrumente, um diese Unternehmen adäquat zu überwachen. Das Problem dieser Unternehmen ist, dass ihr Engagement, neue Märkte zu erschließen, gewachsen ist. So investieren Fonds, aber auch Versicherer, zunehmend in den Immobilienmarkt.
Kommt es zu Marktkorrekturen, das ist der Fall, wenn ein Kurs innerhalb kürzester Zeit 10 Prozent und mehr nachgibt, so kann es sein, dass diese Unternehmen in große Schwierigkeiten geraten, da sie nicht die Standards von Banken, wie zum Beispiel eine Kernkapitalquote von sieben Prozent, erfüllen. Auch die Tatsache, dass viele Schattenbanken in Hochzinsanleihen investiert haben, könnte bei einer Rezession zum Risiko werden. Hochzinsanleihen haben in der Regel ein schlechtes Ranking und gelten als besonders risikoreich und krisenanfällig.
Zwar gibt sich die EZB im Ton zurückhaltend, jedoch sind die Gefahren einer weltweiten Wirtschaftskrise real. So beläuft sich die Summe der erweiterten Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank, Stand März 2023, auf 3,231 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Die nächsten Monate, auch im Hinblick auf weitere Krisenbanken in den USA, dürften auch für Deutschland entscheidend sein.
IMAGO / Jan Huebner
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